2002 Schloss Solitude, "Ich bin was Besonderes" von Cornelia Brüninghaus-Knubel

 

Es beginnt wie ein Kostümfilm: ein spätbarockes Schloss von innen, ein Kind im hübschen Rokokokostüm läuft der Kamera entgegen, dann nimmt sie seine Blickrichtung auf, die durch den Schwenk mit der des Betrachters zusammenfällt. So wie “Das Kind und die Gräfin” ein Bildthema aus der Kunstgeschichte sein könnte (und in der Tat hat sich Corinna Schnitt an ein historisches Foto erinnert), ist auch das Motiv der betrachtenden Person als Repoussoirfigur ein Trick der klassischen Kunst, um den Betrachter Anteil am Geschehen nehmen zu lassen. Was das Kind und wir dann sehen und hören, ist eine weibliche Rücken-Figur, ebenfalls im Kostüm des 18. Jahrhunderts, die aus dem zentralen Fenster des runden Saales von Schloss Solitude herausschaut. Aber sie blickt nicht auf die ihr zu Füßen liegende Stadt Ludwigsburg, sondern in einen Spiegel, den sie sich zur Selbstbetrachtung vorhält. Und sie singt, ein wenig eintönig, ein wenig opernhaft, immer wieder dasselbe: “Ich bin was Besonderes.” Während man sich noch wundert, wie offen diese Person ihre Selbstüberschätzung artikuliert, fährt die Kamera rückwärts, die Besondere wird optisch immer kleiner und ihr Gesang wird nun begleitet von einem Männerchor: “Ja, ja”, singt er und später: “wir lieben dich”. Bald erfasst die Kamera die beiden Läufe der Freitreppe und man erblickt endlich die Sänger: Polizisten in der bundesrepublikanischen Uniform. Spätestens wenn die Kamerafahrt schließlich an der Straße angelangt ist und ein Bus der städtischen Verkehrsbetriebe vorbeifährt, klappt die Perspektive um in die spießige Gegenwart, aus der der Blick auf die Verkleidete, Besondere gerichtet wird. Was soll man nun im Rückblick von ihr halten? Spätestens hier ist die Besonderheit gestellt oder bestellt, man hat an einer Selbstinszenierung teilgenommen, über die man auch lächeln kann.

In ihren Film-Bildern definiert Schnitt das Besondere im historischen Raum: Kostüm und Schloss vom Ende des 18. Jahrhunderts, das als Zeit der Aufklärung, des neuerlichen Strebens zur Selbsterkenntnis (Diderot, Rousseau, Kant) bekannt ist, aber auch für die letzten übersteigerten Egomanien des Adelsstandes. Besonders zu sein bedeutet aber auch abgesondert und einsam sein im Schloss Solitude, das den passenden Namen zum Gefühl trägt. Schon im Märchen suchte die Königin Selbstbestätigung in der narzisstischen Selbstbespiegelung (Wer ist die Schönste im ganzen Land?) und die heutigen “Superstars” träumen davon, beliebt zu sein und bewundert zu werden. (s. Schmidbauer, S….) Ein gesundes Selbstwertgefühl ist ja auch positiv, sogar notwendig.

Alle brauchen das Gegenüber, das dem Selbst seine Bedeutung versichert. Hier bestätigen die Polizisten immerzu, was die Dame von sich selbst behauptet: “Ja, ja...”, was darauf schließen lässt, dass ihre Selbstwahrnehmung von einer Autorität bezeugt werden muss – ist sie sich doch nicht so sicher? Muss sie, die erhabene Person, deshalb in absolutistischer Manier Ergebenheitsadressen durch Uniformträger verlangen – oder erträumen? Ist es Anmaßung, Verstiegenheit, Realitätsverlust, Überspanntheit, Übertreibung, Hochmut... oder doch ein gut Teil Verunsicherung, wenn sie es nötig hat, sich aufzuwerten durch die historische Verkleidung und das hochoffizielle polizeiliche Zeugnis? Wenn sich die Dame allerdings immer wieder ihre Besonderheit einredet und sie litaneihaft beschwören lässt, wird die Wiederholung absurd und man fragt sich, worin eigentlich die Besonderheit begründet ist. Es sieht eher danach aus, als ob alles nur ein schöner Schein ist, eine theatralische Pose, wie sie in der barocken Affektenlehre für den gestischen und mimischen Ausdruck in der Kunst festgelegt wurde. Die Aussage bekommt zusätzlich mit dem Schwenk in die Jetztzeit einen doppelten Boden, etwas Hintersinniges, wenn man bedenkt wie auch die modernen „Superstars“ Kleidung, Habitus und Stil einsetzen, um berühmt und geliebt zu werden, und doch nur eine Leere bemänteln, Ausdruck ohne Inhalt vorgeführt wird.